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Vorsicht, wilde Pinguine

Linux trendet mal wieder. Zeit für einen Artikel für alle Wechselwilligen.

Vorsicht, wilde Pinguine

Das Erwachen der Pinguine

Der bekannte Youtube PewDiePie verkündet I’m done with Google (Link zu Youtube / 23:39 Minuten) und auch Steam stellt bei der Umfrage im Juli 2025 fest, dass Linux für Gamer immer interessanter wird. Zumindest in meiner „Sphäre der Wahrnehmung“ ist Linux in aller Munde.

Es scheint wieder Pinguin Saison zu sein.

Zeitgleich nehmen jedoch die Kommentare und Posts von enttäuschten Usern zu, die sich den Wechsel auf Linux ganz anders vorgestellt haben. Daher habe ich mich dazu entschlossen, einmal ein paar ehrliche Worte zu diesem Thema zusammen zustellen. Denn der Wechsel auf Linux ist nicht so einfach, wie der aktuelle Hype es suggeriert. Wir Linux User sind nicht ganz unschuldig an der Entwicklung. Gerne preisen wir die Vorzüge der von uns gewählten Distribution in den buntesten Farben an. Wir verschweigen dann aber auch gerne Mal die eine Nacht, die wir uns um die Ohren geschlagen haben, um irgendein Spiel unter Lutris zum Laufen zu kriegen.

Aber fangen wir von vorne an.

Wo wir herkommen

Viele haben die Zeit nicht miterlebt, in denen Computer einzig durch Tastatureingaben bedient werden konnten. Da wurden kryptische Kommandos in ein Terminal gehackt und es wurde auf irgendeine Ausgabe gewartet. Commodore 64, die ersten DOS PCs, sie alle ließen sich nur auf diesem Wege bedienen. Auch die ersten Versionen von Windows (1.x, 2.x, 3.x …) ließen sich so bedienen, auch wenn mit der Zeit etwas Grafik in die Konsole kam. Schlussendlich setzten sich aber Betriebssysteme mit grafischen Benutzeroberflächen durch. Microsoft Windows 95 ließ sich sehr komfortabel mit der Maus bedienen. Auch Mac OS und andere Betriebssysteme gingen diesen Weg.

Linux Terminal Gefürchtet, aber sehr mächtig, das Terminal unter Linux (Screenshot / Markus Daams)

Die Entwicklungen von Firmen wie Xerox, Microsoft, Apple und viele mehr machten es möglich, dass man einen Computer haben konnte, ohne Ahnung von Computern haben zu müssen.

Wo wir heute sind

Microsoft und Apple sind inzwischen Milliarden schwere Unternehmen. Ihre Betriebssysteme beherrschen die Märkte dieser Welt. Wobei Microsoft hier eine heraus gehobene Stellung hat, denn je nach heran genommener Statistik, beherrschen sie mehr als 90 % aller Desktops. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn erstens haben sie den Trend hin zum einfach zu bedienenden Consumer-PC in den späten 1980ern richtig erkannt und zweitens ein konsequentes, teils nicht immer legales Vertriebskonzept vorangetrieben.

Mit der Zeit hat sich der Konzern grundlegend gewandelt. Waren Windows und das Office Paket die wichtigsten Produkte des Unternehmens, werden heutzutage die meisten Umsätze in der Cloud generiert. Microsoft Windows ist nur noch der „Fuß in der Tür“ zum Kunden. Viel Revolutionäres ist auf dem Endkunden-PC nicht mehr passiert.

Warum steigt der Wechselwille?

Windows hat vielen Datenschützen dieser Welt immer mal wieder Falten auf die Stirn gezaubert. Als Endkunde hat man gewisse Auswüchse akzeptiert und sich mit „Anti Spy“ Programmen weiter geholfen. Gefühlt war es immer ein Teil des Deals, dass Microsoft nicht nur mein Geld für das Betriebssystem nahm, sondern auch bei den persönlichen Daten zulangte.

Allerdings wird bei diesen sensiblen Daten immer mehr zugelangt. Viel mehr. Da wird nicht mehr nur jede Menge Telemetrie nach Hause gesendet. Es kann passieren, dass der Edge gleich alle aufgerufenen Seiten ins heimische Redmond schickt (Link zu Golem.de).

Da fragen sich zunehmend mehr Menschen zurecht, ob der alte Deal noch gilt.

Viele dieser Menschen sind auch wegen der politischen Entwicklungen besorgt. Die USA agieren zunehmend isolationistisch und auch beim Thema Datenschutz (Link zu heise.de) liegt man inzwischen weiter auseinander, als die 8.000 Kilometer Atlantik zwischen unseren Kontinenten.

Das Thema Datenschutz hat in der EU jedoch einen sehr hohen Stellenwert. Das ist gut so. Somit ist es auch verständlich, dass sich die Menschen nach Alternativen umschauen. Ein Trend wie „Buy European“ beschleunigt diese Entwicklung ebenfalls.

Rette mich Pinguin, du bist meine letzte Hoffnung

Hinter Linux steht kein Konzern. Tatsächlich haben wir das Projekt einem Mann zu verdanken, der auf den Namen Linus Torvalds (Link zur Wikipedia) hört. Sein freies Betriebssystem hat mit der Zeit eine weltweite Community um sich gescharrt. Ließ sich Linux am Anfang nur per Kommandozeile bedienen, gibt es inzwischen nicht nur eine grafische Oberfläche, sondern viele. Wirklich viele.

Und genau hier fangen die Herausforderungen an.

Es gibt nicht nur ein „Linux“. Das Ganze ist viel komplizierter, als man es sich als Wechselwilliger wünscht. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen und stark vereinfacht: Das eigentliche Linux ist nur eine Kernel. Der Kern eines Betriebssystems, der die Kommunikation zwischen Computer und allem, was man auf dem Bildschirm sieht, sicherstellt.

Nun kann man als begeisterter Entwickler hergehen, sich den Kernel schnappen, eine grafische Oberfläche dazu tun und Software-Pakete, die man für geeignet hält, fertig ist die Distribution.

Linux und Distribution sind also eigentlich zwei verschiedene Dinge.

Ein Pinguin? Viele!

Macht man sich auf die Suche nach einem geeigneten Linux, wird man schnell auf den Begriff Distribution stoßen. Im Gegensatz zu Windows, wo es nur einen Betriebssystemkern und eine grafische Oberfläche gibt, verhält es sich bei Linux anders. Hier setzen zwar alle auf denselben Kern (den Linux Kernel), aber jeder mixt sich sein eigenes Paket zurecht. Diese Pakete sind nicht selten auf ein bestimmtes Zielpublikum hin angestimmt.

So kommt es also, dass es spezielle Distributionen für Gamer (z.B. Cachy OS) gibt, für Hacker (z.B. Kali Linux), für Whistleblower (z.B. Tails OS) und noch viele mehr.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der technische Unterbau ebenfalls deutlich unterscheiden kann. Setzen einige Distribution auf die Paketverwaltung ‚rpm‘-Pakete, nutzen Distributionen wie Debian und Ubuntu ‚deb‘, um neue Software zu installieren.

Kurz um: Es ist kompliziert und es herrscht die Qual der Wahl. Und diese kann in der Tat quälend sein.

Linux ist nicht Windows, und wird es nie sein

Wer sich ernsthaft Gedanken über einen Wechsel macht, sollte sich über eines im Klaren sein: Auf Linux zu wechseln ist nicht wie ein Umzug in eine neue Wohnung. Es ist ein Umzug in ein völlig neues Land, in welchem man alle seine bisherigen Gewohnheiten über den Haufen werfen muss.

Warum ist das so?

  • Linux hat auf dem Desktop in den letzten Jahren sehr große Sprünge gemacht. Dennoch verhalten sich zum Beispiel KDE Plasma und Gnome, die bekanntesten Desktops, anders, als man es unter Windows gewohnt ist.

  • Programme, die man unter Windows nutzt, laufen auch heute noch nicht immer unter Linux. Ja, es gibt mit Softwarelösungen wie „Wine“ Kompatibilitätsschichten, die dies ermöglichen. Dennoch benötigt der Umgang damit viel Einarbeitungszeit und nicht selten schlägt es trotzdem fehl. Der Namen Wine bedeutet: “Wine Is Not an Emulator”.

  • Der Treibersupport von und durch Linux ist bedeutend besser, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. In vielen Fällen bekommt man die Distribution seiner Wahl problemlos auf dem eigenen Computer zum Laufen. Aber eben nicht auf allen. Insbesondere neue Hardware oder bestimmte Features selbiger lassen sich nicht sofort nutzen. Dann muss man warten, bis ein entsprechendes Kernel-Update den Treiber nachliefert. Oder man haut selbst in die Tasten. So ein Treiber lässt sich doch sicher „Vibe Coden“.

  • Gaming unter Linux klappt inzwischen recht gut. Dank Kompatibilitätsschichten wie Proton laufen viele Spiele auch unter Linux. Auch Dank des Unternehmens „Valve“, welches hinter der Spieleplattform „Steam“ steht, wird die Unterstützung immer besser. Aber auch wenn es aktuell viele Artikel und Youtube-Videos anders suggerieren, es ist längst nicht alles Gold was glänzt. Die Treiber von Unternehmen wie Nvidia sind unter Linux leider nicht so gut, wie sie sein müssten und auch bei Musterschülern wie AMD fehlen oftmals noch Features, die erst Monate später nachgereicht werden.

  • Meine Liebe für freie Software ist grenzenlos. Aber in vielen Fällen kann sie es nicht mit kommerzieller Software aufnehmen. Hinter dem Gewinnstreben eines Unternehmens stehen in der Regel sehr talentierte Entwickler, die durch gute Bezahlung motiviert werden. Es gibt für ein gewohntes Programm, das man von Windows her kennt, nicht immer eine passende open source Alternative.

Richtig Wechseln, mit Ehrlichkeit und Strategie

Ich will niemanden den Wechsel auf Linux ausreden. Im Gegenteil, je mehr Pinguine, desto besser. Ich glaube aber, dass es oftmals an Ehrlichkeit fehlt, wenn es um die Kommunikation bezüglich eines solchen Wechsels geht. Nur, wenn mögliche Probleme offen angesprochen werden, kann man diesen auch aus dem Weg gehen. Wenn also bekannt ist, was Linux kann, und was nicht, kann das Abenteuer los gehen.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf, wie geht man so einen Wechsel am besten an? Hier sind meine 7 Tipps.

Tipp Nummer 1: Wer wechseln will, sollte sich als erstes bewusst machen, wie er seinen Computer nutzt. Welche Programme verwendet man? Welche Gewohnheiten hat man? Morgens erst einmal das E-Mail-Programm öffnen, der Kalender checken und dann die Musik-App starten? Idealerweise schreibt man sich diese Routinen alle einmal auf. Damit kann man dann später versuchen, diese unter Linux nachzubilden. Solch eine Liste kann man auch für all die Dinge nutzen, die einem unbedingt wichtig sind. Das können Apps für die Arbeit sein, bestimmte Spiele und so weiter.

Tipp Nummer 2: Ruhe bewahren, bei der Suche nach der passenden Distribution. Wie ich bereits geschrieben habe, gibt es sehr, sehr viele verschiedene Distributionen. Es ist schwer, hier einen Überblick zu bekommen. Es lohnt sich, eine AI wie ChatGPT, Le Chat, Claude und wie sie alle heißen, zu befragen, um sich ein erstes Bild zu machen. Der AI kann man dann auch die Anforderungen aus Tipp Nummer 1 an die Hand geben.

Als nächstes kann man sich zum Beispiel Youtube Videos der Distribution anschauen. Das Auge klickt schließlich mit.

Tipp Nummer 3: Es ist empfehlenswert, die eigene Hardware + Name der Distribution in die Suchmaschine der Wahl zu tippen. Hier geht es dann darum, die Erfahrungen und Probleme anderer User kennenzulernen. Gibt es eine bestimmte Hardware-Komponente, die vielleicht Schwierigkeiten verursacht? So etwas kann man noch vor der Installation herausfinden.

Linux auf DuckDuckGo Wenn man “Linux” duckduckgoed, wird die Ente zum Entguin … oder so (Screenshot / Markus Daams)

Tipp Nummer 4: Vor der Installation einfach mal testen. Fast alle Distributionen bieten einen sogenannten „Live“-Modus an. Das Betriebssystem wird in diesem Fall vom Datenträger wie einem USB-Stick geladen und kann dann verwendet werden, ohne dass das installierte System angerührt wird. Dieser Modus ist ideal, die gewählte Distribution auf Herz und Nieren zu testen. Außerdem kann man die erstellte Liste aus Tipp Nummer 1 einmal durchgehen.

Möchte man gleich mehrere Distributionen testen, bietet sich ein Tool wie „Ventoy“ an. Damit ist es möglich, mehrere Betriebssysteme auf einem Datenträger zu speichern und per bereitgestelltem Boot-Auswahlmenü zu starten. Auf der Seite von Tutonaut gibt es einen Hilfe-Artikel dazu.

Tipp Nummer 5: Mutig sein. Längst nicht alles wird unter Linux so funktionieren, wie man es unter Windows gewohnt war. Es wird teilweise sogar gar nicht funktionieren. Daher lohnt es sich, manche Gewohnheiten zu überdenken und gegebenenfalls über Bord zu werfen. Es gibt viele großartige Programme unter Linux, für die es sich lohnt, nicht die Lösung, sondern das Problem zu ändern.

Tipp Nummer 6: Hartnäckigkeit siegt. Bei der Umstellung wird es vermutlich zu Schwierigkeiten kommen. Es lohnt sich, dranzubleiben. Die meisten Probleme haben andere bereits gehabt und gelöst. Suchmaschinen und AI helfen solchen Fällen weiter.

Tipp Nummer 7: Der Wechsel muss nicht zu sofort erfolgen. Dank Dual-Boot lassen sich fast alle Linux-Distributionen parallel zu Windows installieren. Per Menü beim Start lässt sich dann auswählen, welches Betriebssystem es denn heute sein darf. So kann man den Wechsel Stück für Stück vollziehen ohne sich sofort umstellen zu müssen. Praktisch, oder?

So eine Umstellung ist nie einfach

Ich benutze Linux seit fast über 20 Jahren. Meinen letzten Windows Computer habe ich aber erst kürzlich außer Dienst gestellt. Nun ja, der Ehrlichkeit halber muss ich anmerken, dass er kaputtgegangen ist. Ich werde ihn aber auch nicht mehr ersetzen. Mein Wechsel hat also zwei Jahrzehnte in Anspruch genommen.

Und das ist auch okay so. Denn trotz aller Datenschutzbedenken ist Windows nach wie vor ein gutes und komfortables Betriebssystem. Ich kann voll und ganz nachvollziehen, warum es vielen schwerfällt, eine Alternative in Betracht zu ziehen.

Ist der Wechselwille aber da, ist es ratsam, mit einem Plan an die Sache ran zu gehen. Genau wie für Windows gilt eben auch für Linux, dass nicht alles Gold ist, was hier vor sich hin glänzt. So viel Ehrlichkeit muss sein und sollte auch immer kommuniziert werden.

Mein Fazit

Es gibt viele Gründe, auf Linux zu wechseln. Jeder muss für sich entscheiden, ob diese Gründe die Mühen wert sind. Ich lebte immer zwischen den Welten von Windows und Linux. Der vollständige Wechsel erfolgte bei mir erst kürzlich.

Linux ist in Sachen Datenschutz weit vorne unterwegs. Es steht kein profitorientiertes Unternehmen dahinter, welches den User zum Produkt machen möchte. Das schätze ich sehr und es fühlt sich bei der täglichen Nutzung besser an. Allerdings ist Linux auch kein 100-prozentiger Ersatz für Windows, sondern „nur“ eine Alternative, ein anderer Weg mit anderer Aussicht und anderen Herausforderungen.

Einen Wechsel sollte man in Angriff nehmen, wenn die eigenen Beweggründe die Mühen aufwiegen. Dazu sollten sich dann noch Ehrlichkeit, Mut und Beharrlichkeit gesellen. Ist das der Fall, dann empfängt der Pinguin den gewillten User mit offenen Armen.

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